Unterdrückung im Angesicht des Erdbebens I

Mittlerweile sind knapp 5000 Todesfälle nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei und Syrien bestätigt. Die WHO warnt die Zahl könnte auf bis zu 20.000 ansteigen. Damit wäre es eines der verheerendsten Erdbeben in der Region sein Jahrzehnten.

Unterdrückung im Angesicht des Erdbebens I

Während international bereits gestern sehr viele Länder der Türkei Hilfsangebote geschickt haben und auch schon erste Internationale Teams vor Ort sind, zeigt sich, das selbst im Angesicht dieser Katastrophe die bestehende Unterdrückung des türkischen Staates keine Pause macht. In vielen Städten der kurdisch und alevitisch geprägten Region waren Berichten von vor Ort zufolge bis Dienstag früh, über 24 Stunden nach den ersten Beben, noch immer keine staatlichen Hilfsmaßnahmen angelaufen. Mitten im Winter und bei teilweise Minusgraden und Schneefall war die Bevölkerung vor Ort auf sich alleine gestellt, meist ohne schwere Geräte in den Trümmern nach Verschütteten zu suchen. Die Region scheint auch so schwer vom Erdbeben getroffen zu sein, da von staatlicher Seite zu wenig in der Prävention getan wurde – die kurdischen und alevitischen Regionen in der Türkei werden seit Jahrzehnten auch wirtschaftlich benachteiligt. Obwohl die Region als Erdbebengebiet gilt, waren viele Gebäude so gebaut, dass sie den Erdstößen nicht standhalten konnten. In der Stadt Amed/Diyarbakir kollabierten sogar Neubauten 12 Stunden nach dem ersten Beben. Viele Personen in der Region machen dafür die Regierung verantwortlich, die dafür bekannt ist, enge Verbindungen zur Bauwirtschaft zu haben. Es kommen immer wieder fragwürdige staatliche Bauaufträge ans Licht, bei denen Baustandards nicht eingehalten werden.
Vor Ort ist den Menschen bewusst, dass aktuell jede Minute zählt, um Verschüttete noch lebendig bergen zu können. Vielerorts organisierte sich die Bevölkerung daher selbst, um mit den geringen Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen zu helfen, wo es geht. Doch während in einigen Städten zwar Orte als Notunterkünfte vom Staat ausgewiesen wurden, aber dort keinerlei Unterstützung anzutreffen war, nutzte der Staat gestern noch seine Kraft um in der Stadt Cizîr einen Krisentisch von politischen Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen zu verhindern. Zuvor hatte es bereits einen Aufruf der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans gegeben, die Rettungsmaßnahmen selbst zu organisierung und nicht auf den Staat und seine Maßnahmen zu warten.

Auch gegen Personen, die sich im Internet wegen der unzulänglichen Hilfe beschwert hatten, ging der Staat schon gestern vor. Es seien 90 Accounts festgestellt worden, von denen „provokante Posts“ ausgegangen seien, vier Personen seien bereits festgenommen worden.

Auch in Syrien hat das Erdbeben Verwüstung ausgelöst, nach aktuellen Zahlen wurden über 1500 Personen getötet, auch hier wird diese Zahl vermutlich noch steigen, aus der Region Idlib ist von Hunderten verschütteten Familien die Rede. Auch die nordsyrische Stadt Afrin, die seit 2018 vom türkischen Staat besetzt ist, ist schwer vom Erdbeben betroffen, es kursieren Bilder aus dem Krankenhaus von Afrin, die zeigen, dass auch dort kaum Hilfe angekommen ist. Die Region Şehba, die seit der Besetzung von Afrin mehrere Hunderttausend Geflüchtete aufgenommen hat, hat ebenfalls mit den Auswirkungen zu kämpfen, das Außmaß ist hier noch unklar. Es gibt allerdings Berichte, dass ein Staudamm in der Region durch das Erdbeben Risse bekommen hat. Ein Dammbruch hätte unvorhersehbare Folgen. Trotz dieser Situation kam es am Montag abend erneut zu Mörserangriffen durch den türkischen Staat und islamistische Milizen auf die Stadt Til Rifaat.

In Rojava sind vorallem die westlichen Kantone vom Erdbeben betroffen, auch in Kobanê kam es zu Todesfällen. Aber auch in Städten wie Qamişlo im Osten war das Erdbeben zu spüren, viele Familien wurden aus Angst vor Nachbeben vorerst in Zelten untergebracht.

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