Dieser Text wurde uns im Nachgang zum Kessel am 3. Juni 2023 zugeschickt. Wir veröffentlichen ihn hier zur Dokumentation und Diskussion. Texte können uns an jugendinfo[at]riseup.net zugeschickt werden.
Hallo Genoss*innen,
wir sind 3 Personen die bei #le0306 zwischen 8 und 11 1/2 Stunden im Kessel gefangen waren und hier ein paar Gedanken zu dem Tag und der medialen Berichterstattung darüber teilen wollen. Vorher ist uns aber noch wichtig zu sagen dass wir nicht einzelnen Genoss*innen ihre Gewalterfahrung absprechen oder diese relativieren wollen, es geht uns weder darum, zu diskutieren, ob einzelne Genoss*innen sich mehr oder weniger hätten wehren sollen, noch wollen wir uns zu diesem Zeitpunkt an der strategischen Debatte darüber ob und wie der Kessel vermeidbar gewesen wäre beteiligen. Was wollte der deutsche Staat mit dem Kessel, wie hat Widerstand dagegen ausgesehen und wie geht es jetzt weiter? Mit diesem Text versuchen wir aus revolutionärer Perspektive auf diese Fragen zu antworten, Erfahrungen zu Teilen, und Mut zu machen.
Wenig Platz, grelles Scheinwerferlicht und die langsam näher kommende Festnahme. Ein bedrückendes Gefühl, das genauso gewollt ist. Die Polizei kesselt uns ein und versucht, unseren Widerstand zu brechen, sie versucht uns – dadurch das sie uns die Grundrechte auf Toiletten, Schlaf, und Co nimmt – mürbe zu machen. Wir sollen von der Straße, die Füße still halten, die Verurteilung von Lina und den Rechtsruck hinnehmen. Wir sollen Angst davor bekommen, zukünftige revolutionäre Arbeiten zu machen und uns von unserem Support isoliert fühlen.
Das klingt vielleicht nach Propaganda, war am Samstag in Leipzig aber so offen wie sonst selten sichtbar, Sanitäter*innen durften nur eine kleine Menge an Decken hereinbringen, die Support-Kundgebung wurde, weil sie „sich vermehrt politisch geäußert und dadurch die öffentliche Sicherheit gefährdet hat“ außer Hörweite des Kessels gebracht. Diejenigen die Lieder angestimmt und sich über Angriffe laut beschwert hatten, wurden teils gezielt festgenommen.
Der Versuch uns Angst zu machen hat funktioniert, es wäre gelogen zu sagen das 11 Stunden Gefangenschaft, Schikane, auf engstem Raum zusammengedrückt sein, und die Gewalt nichts mit uns oder anderen Genoss*innen gemacht hätte und doch sind wir erhobenen Hauptes aus dem Kessel herausgegangen, warum?
Es gab Widerstand. Trotz dauerhafter Videoüberwachung aus mehreren Winkeln, trotz behelmten Spezialeinheiten und dem ohnehin im Raum stehenden Vorwurf des schweren Landfriedensbruchs.
Twitter ist voll mit Videos davon wie Personen aus dem Kessel heraus Parolen rufen oder Lieder singen, die Moral war hoch und das teils bis zum Schluss. Es gab mehrere Momente, in denen fast alle Personen im Kessel mitgesungen oder gerufen haben. Die Lautstärke und Stimmung war intensiver als auf vielen Demonstrationen. Viele Menschen haben sich eingehakt und gegen die Festnahme gewehrt, auch in dem sie gewartet haben, bis sie von der Polizei zum Mitgehen angesprochen wurden. Die Sanitäter*innen haben trotz Schikane der Polizei Lebensmittel, Decken, und Trinken in den Kessel gebracht, das dann eifrig mit allen geteilt wurde. Von außen konnten wir oft Zurufe und Parolen sowie vereinzeltes Feuerwerk hören. Das hat uns immer wieder sehr ermutigt. Großen Dank auch an die Genoss*innen die sich an den Polizeiketten vorbei bis zum Kessel vorgekämpft haben. Ein Schlüsselmoment der kollektiven Moral war gegen 00:30 Uhr, als versucht wurde die ersten Personen rauszuziehen. Menschen lagen eng aufeinander auf der Suche nach Wärme und einige schliefen, bereits als auf die Versuche der Polizei aufmerksam gemacht wurde. Sofort sprangen alle voller Energie in die Luft, hakten sich ein, und stellten sich mit lauten kraftvollen Parolen und Gesängen mit einer kämpferischen Stimmung der Nacht entgegen.
Wir rufen alle Menschen aus dem Kessel dazu auf; bleibt bei eurer Haltung, zieht Kraft aus dem gemeinsamen Widerstand, wehrt euch gegen solche staatlichen Maßnahmen, und bleibt auf den Straßen. Seid euch bewusst, dass eine kämpferische Haltung uns gegenseitig mit Zuversichtlichkeit, Kraft, und Zusammenhalt füllen kann. Redet mit euren Freund*innen (egal ob sie im Kessel waren oder nicht) wie es ihnen geht, denn sie kriegen uns nicht von der Straße, da können sie uns noch so lange einkesseln.
Lasst uns stolz darauf sein, dass trotz unzähligen Wasserwerfern, trotz Räumpanzern, und 11 Stunden Kessel bis Nachts um fünf Uhr revolutionäre Lieder auf den Straßen Leipzigs zu hören waren. Lasst uns jetzt aufeinander aufpassen und weiter solidarisch miteinander Seite an Seite für die befreite und antifaschistische Gesellschaft kämpfen.
Freiheit für Lina, Freiheit für alle Antifas, Solidarität heißt weitermachen!