Nord Stream – Ein Musterbeispiel von Berichterstattung in Kriegszeiten

Nord Stream – Ein Musterbeispiel von Berichterstattung in Kriegszeiten

Die Sprengung der Nord Stream Pipelines führte zu einer Vielzahl von Spekulationen und mittlerweile zwei sich gegenüberstehenden Theorien wer es gewesen sein könnte. Auch die neuesten Veröffentlichungen bieten keinen Aufschluss und sind kein Teil eines Wahrheitsfindungsprozesses, sondern auch Teil eines Kampfes um die öffentliche Meinung.

Die Sprengung der Nord Stream-Pipelines in der Nacht zum 26. September letzten Jahres war wohl eines der wichtigsten Ereignisse im Rahmen des Krieges in der Ukraine, das sich selbst nicht auf dem ukrainischen Staatsgebiet abgespielt hat. Schon vor Beginn des Krieges war die neu gebaute Pipeline Nord Stream 2 von vielen Seiten umstritten, Umweltverbände und Klimagerechtigkeitsbewegung kritisierten den Bau wegen dem Ausbau fossiler Infrastruktur, Andere Kritisierten den Bau wegen der zunehmenden Abhängigkeit von Russland und die Grünen vermischten mal wieder beides und spielten mit beiden Karten. Doch so klar wie niemand anderes sprachen sich die USA gegen den Bau und die Inbetriebnahme aus. Vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar 2022 sagte US-Präsident Biden noch, sollte dieser Fall eintreffen, werde es kein Nord Stream mehr geben, welche Mittel er genau dafür einsetzen werde sagte er allerdings nicht.

Und trotz dieser umfassenden Debatten war die Debatte nach den Detonationen und der recht schnellen Eindeutigkeit, dass es sich bei den Explosionen um gezielte Sprengungen gehandelt hat, darüber wer dahinter steckt recht schnell vorbei, als ob diese Pipelines, über die so intensiv und lange diskutiert wurde doch nicht so relevant sei. Und schnell hatten sich alle von CDU bis linksliberale insgeheim ohne einen wirklichen Beweis oder ein Motiv darauf geeinigt, dass es ja sicher Putin gewesen sein müsste. Aus dem ZDF-Satiremagazin Heute Show hört man damals: „Nord Stream 1 und 2 wurden an vier Stellen kaputtgemacht. Aber bitte keine Vorverurteilungen! Bei diesem Fall sind noch jede Menge Fragen ungeklärt. Zum Beispiel, welche Nation dahintersteckt oder wie genau die russischen Kampftaucher das gemacht haben.“

Erst Anfang Februar kam das Thema wieder auf die Agenda, als der Investigativ-Journalist Seymour Hersh einen Bericht vorlegte, in dem er unter Berufung auf eine Quelle im US-Militär beschreibt wie dieses, in Zusammenarbeit mit dem NATO-Partner Norwegen die Sprengungen im Herbst 2021 vorbereitete und schließlich durchführte. Hersh, der dutzende Enthüllungen im Laufe seiner Karriere ans Licht brachte, war bei westlichen Medien schnell unten durch und wird heute nur noch mit dem Adjektiv „umstritten“ benannt, wenn nicht sogar wie es das ZDF am 6. März tat als „Ehemligen Starjournalisten, der aber heute eher als Blogger mit Verschwörungstheorien unterwegs ist“ bezeichnet. Während sich also mit seinem Bericht kaum auseinandergesetzt wurde und eher er selbst, als der Bericht angegriffen wurde, war es erst der 6. März, der erneut das Thema der Täterschaft aufmachte. 

Angeblich hätten deutsche Behörden eine Spur in die Ukraine gefunden, wobei auch dabei die bis dato veröffentlichten Ermittlungsergebnisse eher mehr Fragen aufwerfen als sie beantworten. Eine Gruppe von 6 Personen habe in Rostock eine Segelyacht bestiegen, die von einer polnischen Firma mit ukrainischen Besitzern angemietet worden sei. Die Yacht sei mit dem Sprengstoff beladen worden und schließlich ausgelaufen, um den Sprengstoff durch die beiden Taucher an Bord an den Pipelines anbringen zu lassen. Die Personen sollen Teil einer pro-ukrainischen Gruppe sein und bei der Anmietung des Bootes gefälschte bulgarische Pässe vorgelegt haben. An Bord dieser Yacht sollen bei einer Durchsuchung im Januar schließlich Spuren von Sprengstoff gefunden worden sein. 

Dass diese Version ihre Lücken hat, wurde schon kurz nachdem sie zum ersten mal präsentiert wurde angemerkt, so war ein Hafen, in dem laut der Recherche die Yacht halt gemacht haben soll, gar nicht tief genug, dass das Boot dort hätte einfahren können. Eine Verwechslung, so die Erklärung später. Doch auch die Geschichte an sich hat ihre Probleme. Kurz nach der Sprengung waren sich alle Expert*innen sicher, es müsse sich um einen staatlichen Akteur gehandelt haben, private Personen hätten nicht die Fähigkeiten eine solche Aktion durchzuführen. Und jetzt soll es doch eine nicht näher definierte „pro-ukrainische Gruppe“ sein, die aber, so wenig man auch weiß, sicher nichts mit der ukrainischen Regierung zu tun habe. Auch wie eine solche Gruppe von deutschen Behörden in der aktuellen angespannten politischen Situation und der Angst um die kritische Infrastruktur, unbehelligt mit mehreren Hundert Kilogramm Sprengstoff in den Hafen in Rostock fahren konnte und ihn dort auf eine Yacht verladen konnte, lässt zumindest stutzen.

Wer genau hinter den Explosionen steckt, wird noch lange Thema von Spekulationen bleiben, wenn es überhaupt je zu einem eindeutigen Ergebnis der verschiedenen Ermittlungen kommen sollte. Doch allein der Umgang mit den verschiedenen Berichten lässt tief blicken, was Berichterstattung und öffentlichen Diskurs angeht. 

Die Reaktion auf den Bericht von Seymour Hersh war von Anfang an, noch bevor sich Lücken in seinem Bericht auftaten, eine Diffamierungskampagne in seine Richtung, die ihn selbst angegriffen hat. Aufschluss darüber liefert zum Beispiel auch ein Blick auf seinen Wikipedia Artikel. Heute gibt es bei ihm ein eigenes Kapitel mit der Überschrift „Zunehmend kritisch beurteilte Untersuchungen“, unter dem seine Arbeiten der letzten Jahre aufgeführt werden, ganz nach dem bereits oben genannten Narrativ von „heute eher Blogger mit Verschwörungstheorien“. Tatsächlich ist dieses Kapitel auf seiner Wikipediaseite aber erst Anfang März aufgemacht worden. Zuvor waren die Arbeiten, die er nach 2011 veröffentlichte wie alle anderen auch präsentiert worden.

Zugleich wurden aber die Berichte über die Ermittlungen deutscher Behörden als Bare Münze genommen und selbst als Ungereimtheiten aufgezeigt wurden verteidigt und davon spekuliert, dass es ja auch sein könne, dass es sich um eine geschickte False-Flag Aktion gehandelt habe, ohne, dass es dafür irgendwelche Anhaltspunkte gegeben habe.

Und dies ist kein Muster, dass nur hierzulande zu beobachten ist. Auch in Russland ist die Auseinandersetzung über die Täterschaft der Sprengungen ähnlich geführt worden, nur war es hier der Bericht von Hersh, der sofort bestätigt und durch die Medien gejagt wurde.

Der Öffentlichkeit muss in Kriegszeiten, mehr noch, als in Friedenszeiten bewusst sein welchen Stellenwert Medien und Berichterstattung haben. Staatliche Maßnahmen, Gesetzesvorhaben, konkrete Beschlüsse außenpolitisches Handeln etc. muss immer von bestimmten Erzählungen unterfüttert werden. Dies muss nicht bedeuten, dass alle Berichterstattung vom Staat kontrolliert wird, es kann auch bedeuten, dass sich nicht staatliche und staatliche Stellen in einem bestimmten Narrativ gegenseitig unterstützen. Und dass es diese nichtstaatlichen Stellen zuhauf gibt zeigt sich auch an der massiven medialen Kampagne für die Kriegsindustie in der diese immer mehr Geld fordert um ihre Produktionsfähigkeiten anzuheben. Auch ist Nord Stream nur ein Beispiel dafür unter vielen, allein im Kontext von Militär und Krieg gibt es eine ganze Reihe von Themen die mit diesem kritischen Blick betrachtet werden müssen, sei es das Narrativ, dass die Bundeswehr so schlecht ausgestattet sei und deshalb unbedingt 100 Milliarden Euro brauche, oder das Narrativ, dass die jeweils andere Kriegspartei kurz vor dem Kollaps stünde und ein vielfaches mehr an Toten und Verletzten zu beklagen habe, während von der anderen Seite das genaue Gegenteil behauptet wird, was auch einfach durchzusetzen ist, weil niemand die genauen Zahlen an Menschenleben kennt die zwischen Kriegsgerät zerrieben werden.

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