Was auf den ersten Blick klingt, wie das Ende der Feindseligkeiten nach drei Jahrzehnten Kriegszustand zwischen den beiden ehemaligen Sowjetrepubliken ist jedoch bei genauerem Hinsehen die Fortsetzung der aserbaidschanischen Aggression und dem Jahrelangen schweigen der internationalen Gemeinschaft gegenüber der Kriegstreiberei aus Baku.
Für wenige Tage gab es sie, die Aufregung über den Exodus von zunächst Zehntausenden, später über Hunderttausend Armenierinnen und Armeniern in Folge der aserbaidschanischen Militäroffensive auf die international nicht anerkannte Republik Arzach. Appelle an Armenien, die Geflüchteten aufzunehmen, sowie die absurde Forderung aus Deutschland von Außenpolitikern der Ampel-Franktionen Aserbaidschan sei dafür verantwortlich den Vertriebenen eine Rückkehr und Sicherheit zu garantieren. Dass dies niemals die Absicht der Diktatur in Baku gewesen ist, ist kein Geheimnis, und ist nicht erst jetzt nachträglich festzustellen. Der Krieg von 2020 war dafür ein Beleg, genauso wie die symbolträchtige Umbenennungen der Hauptstraße von Stepanakert, der Hauptstadt der Republik Arzach nach der Eroberung. Enver-Pascha-Straße sollte sie zukünftig heißen, benannt nach dem Organisator der Genozids am armenischen Volk 1915/16 bei dem über anderthalb Millionen Menschen ermordet und ein vielfaches dessen vertrieben wurden.
Aserbaidschan sieht sich in dieser Tradition und sie versuchen es nichteinmal zu verstecken.
Doch auch nach dem Krieg im September war es keinesfalls beendet. Sogleich forderten Politiker in Aserbaidschan sich jetzt auch noch den Sangesur Korridor einzuverleiben, also den Südteil Armeniens, der Aserbaidschan von dessen Enklave Nackchivan trennt. Eine Eroberung dieses Korridors wäre der Schritt, der Aserbaidschan vereint, und damit einen nationalistischen Traum wahr werden lässt, und zugleich eine direkte Verbindung zwischen Baku und dem türkischen Staatsgebiet herstellt. Ein symbolischer und strategischer Paukenschlag für die Achse Baku-Ankara, die seit Jahren die Zusammenarbeit unter dem Slogan „Eine Nation – zwei Staaten“ verstärkt,
Die Drohungen gingen also weiter, genauso wie die militärischen Aktivitäten. Noch im Januar wurden bei einem Angriff auf armenische Grenzstellungen sogar Soldaten getötet.
Der vermeintliche Umschwung kam dann ausgerechnet nach der Münchner Sicherheitskonferenz. Der aserbaidschanische Präsident Alijew, der sich noch zuvor noch mit 92 % hatte wieder“wählen“ lassen traf dort auf seinen armenischen Amtskollegen Pashinyan, der seit der Zerschlagung Bergkarabachs, sowie seiner passiven Haltung dazu, selbst im eigenen Land schwer angeschlagen ist. Am Rande der Konferenz soll dann der Legende nach Olaf Scholz selbst mit den Beiden die Friedensverhandlungen ausgemacht haben, Ort dafür: Berlin.
Seit dem legt Armenien auf der internationalen Bühne einen selten gesehenen Sprint in Richtung Westen hin, erst kündigt es die Mitgliedschaft in der CSTO (Collective Security Treaty Organization), einem Sicherheitsabkommen mit Russland und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken auf, dann hebt es Visabeschränkungen für europäische Länder auf, und erwägt nach Aussagen des Außenministers Ararat Mirzoyan zufolge sogar sich auf eine EU-Mitgliedschaft zu bewerben.
Woher plötzlich das Umsinnen nach Europa? EU-Politiker:innen und ihre Anhänger:innen werden auf diese Frage mit Sicherheit irgendeine Mischung aus Menschenrechten und Demokratie antworten. Fakt ist aber, dass Armenien keine andere Wahl bleibt, wenn es nicht einen weiteren Genozid und Annexion von Staatsgebiet durch das eng mit der EU und NATO befreundete Aserbaidschan riskieren will. Fallengelassen durch den historischen Verbündeten Russland wäre dies der Todesstoß für einen, auf einen Bruchteil des ursprünglichen armenischen Siedlungsgebietes gestutzten armenischen Staat.
Die Rolle Europas ist dabei ganz einfach die des lachenden dritten, neben der weiteren Ausbreitung des europäisch-transatlantischen Einflussgebiets auf dem Kaukasus, öffnet sich damit die Route für aserbaidschanisches Öl und Gas, über die Türkei nach Europa wie von selbst, Öl und Gas, nach dem Europa seit dem Beginn des Ukraine-Krieges in aller Welt sucht.
Wie diese Route durch den Sangesur letztendlich geöffnet werden kann, dafür hat die Türkei, deren völkermörderische Vergangenheit gegenüber dem armenischen Volk bereits oben angesprochen wurde, auch schon Ideen parat. In Gesprächen diese Woche, an denen Armenien nicht einmal teilnahm oder Mitsprache hatte, schlug diese vor, dem Südteil Armeniens einen „speziellen rechtlichen Status“ zu verpassen, dieser würde vermutlich die armenische Kontrolle über ihr eigenes, völkerrechtliche anerkanntes Staatsgebiet untergraben und der Türkei und Aserbaidschan besondere Rechte einräumen.
Auch der Besuch von NATO-Chef Stoltenberg auf dem Kaukasus ab dem 17. März wird in diese Richtung mit Sicherheit neue Entwicklungen bringen. Armenien wird dabei den kürzeren ziehen und an Selbstbestimmung einbüßen. Europa und der Westen allerdings, können sich als Friedensbringer in der Region präsentieren, dass dabei die guten Freunde und Diktatoren aus Baku und Ankara ein Messer auf Armenien richten und dessen Westannäherung sichern, kommt da nur gelegen.