Nachdem das Thema in den letzten Monaten sukzessive in den Medien platziert worden war, sollte nun wohl der große Coup gelingen: im Auftrag des LKA Niedersachsen wurde in Berlin-Friedrichshain eine Tür nach der anderen eingetreten. An martialischem Auftreten wurde dabei nicht gespart. Letztlich wurde zwar nur Daniela Klette festgenommen und in die JVA Vechta verschleppt, die anderen gesuchten „Terroristen“ entziehen sich jedoch weiterhin dem Zugriff des Staates. Begleitet wurde die Fahndung von einer Medienöffentlichkeit, wie es sie bei einer Fahndung in der BRD lange nicht gegeben hat. Zu der Berichterstattung in Echtzeit über die Razzien gesellen sich die typischen voyeuristischen Storys über das private Umfeld der Gesuchten und Kommentare über die Gefahr von Links. In Verbindung mit der Aktion gegen das Tesla-Werk Grünheide haben deutsche Sicherheitspolitiker*innen, Politikredakteur*innen und Polizeigewerkschafter endlich jene Debatte über Linksterrorismus, die sie schon immer führen wollten.
Die Nachricht als Ware – Oder: Hurra, der „Linksterrorismus“ ist zurück!
Die bürgerliche Öffentlichkeit ist einerseits ein Komplex widerstreitender Interessen, welcher andererseits davon bestimmt ist, dass der erdrückende Großteil der Produktionsmittel und Infrastrukturen für die Massenkommunikation dem Staat oder privaten Kapitalisten gehören. Welche Meinungen sich in einer solchen Öffentlichkeit tendenziell durchsetzen können, ist also klar. Nichtsdestotrotz konkurrieren die Akteur*innen dieser Öffentlichkeit darum, wer die „Konsument*innen“ mit seinen Produkten beliefern darf. Infolge dessen sehen wir, je nach Zielgruppe, eine unterschiedliche Aufmachung des gleichen Inhalts. Die „Story“: Eine „Terroristenjagd“ wie in Hollywood (ein Vergleich, der bei den obligatorischen Straßeninterviews oft fällt), die Frage, ob „unsere“ Sicherheitsbehörden dabei zu wenig dürfen und – oh Schreck – die menschlichen und privaten Seiten der „Mörder“, die da mitten unter uns gelebt haben.
Vor allem an Letzteres ist das deutsche Publikum dank Namen wie Spiegel (TV), Stern, Berliner Zeitung (BZ) oder BILD gewöhnt. Und das lohnt sich. Beispiel: Die „Kurz-Dokus“, die Spiegel TV kurz nach der Räumung in der Hausbesetzung Liebig 34 in Berlin unter freundlicher Anleitung durch die Polizei drehen durfte, haben 2.4 bzw. 1.3 Millionen Klicks bei YouTube. Neben dem Voyeurismus des Publikums, das sehen möchte, wie das „linke Pack“ so haust, liefern solcherlei Berichte auch gleich die Entpolitisierung eigentlich radikaler Politik mit, indem der Fokus auf vermeintliche Fragen der Lebensführung gelenkt oder die Porträtierten zu verrückten Außenseitern gestempelt werden. Auch aus der Demo-Berichterstattung von Spiegel TV ließen sich hierfür Dutzende Beispiele aufführen.
In der aktuellen Medienkampagne erfahren wir beispielsweise von einer Hundepsychologin in der BZ etwas über Garwegs Verhältnis zu Hunden oder die Tatsache, dass Daniela Klette Mathe-Nachhilfe gab, Kekse verschenkte und in einem Verein aktiv war (u.a. Tagesspiegel). BILD erweckt den Anschein, als hätten ihre Reporter mit ganz Berlin gesprochen und jeden interviewt, der einen der „Terroristen“ schon einmal gesehen haben könnte. Burkhard Garweg soll außerdem einer älteren Frau bei der Lebensführung geholfen haben, wie Nachbarn dem Spiegel berichten. Eine Nachbarin ist sich sicher: „Sie ist auf den reingefallen.“ Ein ganz klarer Fall: Wenn so ein „Schwerkrimineller“ (BZ) seinen Mitmenschen hilft, ist das natürlich eine Falle.
Wenn man sich die Fülle an Artikeln und Videos allein bei BILD und Spiegel anschaut, die unter dem Schlagwort „RAF“ nur zur aktuellen Fahndung produziert worden sind, dann wird klar, dass diese Affäre aus Sicht der großen Medien nicht so bald enden darf. Zum Glück für BILD und Co. scheint die Polizei jede Ermittlungserkenntnis, die sich in einer Schlagzeile verwerten lässt, zuerst mit ihren ausgewählten journalistischen Kontakten zu teilen.
Eine weitere Spielart der entpolitisierenden Berichterstattung finden sich in klassischen Hetz-Artikeln, in welchen die sogenannten „Täter“ als verrückt denunziert werden. In einem Kommentar vom 06.03 erklärt der bekannte Journalist Gunnar Schupelius „Worum es den Anti-Tesla-Terroristen wirklich geht“. Der Anschlag der Vulkangruppe auf Tesla ließ sich natürlich perfekt in die laufende Berichterstattung einpassen. Um das Ganze abzukürzen: Es handelt sich bei den „Terroristen“ um verwirrte Ideologen, die gegen den Kapitalismus hetzen, „womit die indoktrinierten jungen Leute die soziale Marktwirtschaft und die parlamentarische Demokratie meinen.“ Die Jugend als unmündig und verwirrt, ein alter Hut. Bemerkenswert an diesem Machwerk ist lediglich, wen der Kommentator alles in die Nähe des Terrorismus rückt. Zunächst die Waldbesetzer*innen in Grünheide, vor denen sich die Polizei auf Anweisung der Politik „zurückgezogen“ habe (Versammlungsrecht, was ist das?) und bei denen man „bekanntlich“ (hört, hört) nicht zwischen Friedlichen und Militanten unterscheiden könne.
Des Weiteren eine Organisatorin einer Demo gegen Rechts, die namentlich genannt wird und die twitterte, jeder Tag Produktionsstopp bei Tesla sei ein guter Tag für die Umwelt. Für Schupelius ist dieser einfache Fakt eine Solidarisierung mit den „Tesla-Attentätern“. Er setzt aber noch einen drauf und hetzt, diese „linksextreme Szene, die von der Vulkangruppe bis zu den Klimaklebern reicht“, habe auch noch die Dreistigkeit, den Staat bei der RAF-Fahndung zu behindern. Gemeint sind wohl die Veröffentlichungen auf Indymedia. Man kann nur hoffen, dass er mit der Aufnahme der „Letzten Generation“ in diese Liste den Begriff des Linksextremismus derart der Lächerlichkeit preisgibt, dass die propagandistische Wirkung dieses Textes begrenzt geblieben ist.
Er beschließt den Kommentar mit der Lüge, Innenministerin Faser und Verfassungsschutzpräsident Haldenwang würden im Gegensatz zur Bedrohungslage von Rechts hier schweigen und fordert auf zu Demonstrationen gegen die Gefahr von Links, bevor Tesla aus diesem Land „vertrieben“ wird.
Die Machtdemonstration des Staates
Der zweite Aspekt, unter dem man die Fahndung und die darauf folgende Berichterstattung untersuchen kann, ist jener der staatlichen Machtdemonstration bzw. der Sicherheitspolitik, wie es offiziell heißt. Auch wenn die Raubüberfälle der formal-juristische Anlass für die Fahndung sind, ist ganz klar, dass die RAF Vergangenheit der Gesuchten das Entscheidene sind. Dementsprechend ist bei der BILD auch nur von gesuchten „RAF-Terroristen“ die Rede, während Medien mit höherem Seriösitätsanspruch zumindest von „(mutmaßlichen) Ex-RAF-Terroristen“ schreiben. Bewaffnete Raubüberfälle sind in einem auf Privateigentum basierenden System ein alltägliches und selbstverständliches Phänomen, auf das der Staat der Natur der Sache nach immer nur reagieren kann. Zugleich erfährt keine Raubserie eine vergleichbare Öffentlichkeit.
An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass die Aktionen der RAF nicht nur in der Berichterstattung eine Rolle spielen, sondern auch juristisch noch verfolgt werden. Gegen Daniela Klette wurde 10 Tage nach ihrer Verhaftung ein Haftbefehl wegen der mutmaßlichen Beteiligung an einem Anschlag auf die US-Botschaft in Bonn 1991 sowie die Sprengung der JVA-Baustelle in Weiterstadt 1993 eröffnet. Dieser bestand bereits zuvor, muss aber aus formalen Gründen nach der Festnahme erneut eröffnet werden. Darüber hinaus hofft die Justiz darauf, bisher unaufgeklärte Attentate auf Vertreter von Staat und Kapital zu bestrafen.
Nun mag man sich Fragen: Warum? Die Rote Armee Fraktion ist seit 1998 Geschichte und von einer für die Herrschaft gefährlichen Bewegung von Links kann aktuell auch keine Rede sein. Dass die Justiz trotzdem prinzipiell ihrem Auftrag nachkommt, Verstöße gegen die bürgerliche Rechtsordnung zu bestrafen, ist natürlich wenig verwunderlich. Dass die RAF bzw. ihr Phantom, das in den Köpfen der Staatsdiener spukt, für diese Rechtsordnung im Allgemeinen gefährlicher ist, als der Faschismus, dürfte auch nicht überraschen, was dann wohl den offensichtlich unterschiedlichen Ermittlungseifer erklärt. Bleibt noch die Frage zu klären, welchen konkreten Interessen die verschiedenen Vertreter*innen bürgerlicher Politik in dieser Gemengelage nachgehen.
An vorderster Front steht die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) in Gestalt des stell. Vorsitzenden und CDU-Politikers Manuel Ostermann, der in einem Interview mit der Welt wieder einmal Gesetzesverschärfungen („[…] dass die politisch Verantwortlichen Extremismus allumfassend den Kampf ansagen“) und einen harten Kampf gegen Links fordert. Seiner blitzgescheiten Analyse zufolge seien die aktuellen Entwicklungen, also die Fahndung nach ehemaligen Angehörigen einer seit fast 26 Jahren aufgelösten Organisation, der Beweis, dass die „linksextremistische Szene […] quicklebendig und gut vernetzt“ sei. Überhaupt hält er es für eine Verharmlosung, von „RAF-Rentnern“ oder „Ex-Terroristen“ zu sprechen – der Fakt, dass die Bedrohung, mit der man argumentieren möchte, gar nicht mehr existiert, stört offenbar. Nun sei es an der Zeit, dass die Ignoranz gegenüber dem Linksextremismus in der Politik aufhöre.
Der Fragensteller assistiert und verweist auf eine Solidaritätsdemonstration „für die RAF“ in Berlin-Kreuzberg, auf der sich zwar nur eine „überschaubare Menge, aber Autonome, Anarchisten, Linksterroristen“ eingefunden hätten. Nun kommt auch der Anschlag auf die Stromversorgung der Tesla-Fabrik ins Spiel. Dieser sowie die Festnahme Klettes hätten nur ein Schlaglicht auf die linksextreme Szene geworfen und er fragt Ostermann, wie groß denn die tatsächliche Gefahr dieser „Szene“ ist. Antwort: Die Bedrohung durch Linksextremisten und -terroristen sei „immens“ und alleine in Berlin gehe von 1000 Linksextremen eine „konkrete potentielle Gefahr“ aus. Wie eine Gefahr zugleich konkret und potentiell sein kann, verrät Ostermann nicht. Gemeint ist wohl die Klassifizierung als „gewaltbereite Linksextremisten“ durch den Verfassungsschutz.
Die Tatsache, dass es in den letzten Jahren ruhiger geworden sei um den „Linksterrorismus“ zeige nur, dass dieser sich im Untergrund weiter organisiert und strukturiert hätte. Eine bestechende Logik. Als Höhepunkt dieser Co-Produktion von Welt und DPolG erhebt Ostermann die Forderung, dass es angesichts dieser Bedrohungslage „dringend“ die Vorratsdatenspeicherung brauche.
Die Begriff der „Szene“ und des „Extremismus“ sowie die willkürliche, stichwortartige Nennung unterschiedlicher linksradikaler Strömungen von Interviewer und Interviewten lassen ein Konstrukt entstehen, das nicht nur einen inneren Zusammenhang all dieser Phänomene suggeriert, sondern auch von vornherein jeden konkreten politischen Inhalt unkenntlich macht. Unter diesem Blickwinkel sind Autonome, Anarchisten, „Linksterroristen“ und die eigentlich marxistisch-leninistische RAF das Gleiche: eine Bedrohung des kapitalistischen Systems, eine Abweichung, die man ausschalten muss. Die Protagonisten des Interviews treten auf als der personifizierte Staatsschutz.
Auf dem Gebiet der Erweiterung der Repressionsmittel gab es noch weitere Stimmen aus der Politik. So wurde auch der Einsatz von Künstlicher Intelligenz zur Identifizierung von Menschen gefordert, etwa von Friedrich Merz, der sich für den Einsatz von KI zur Fahndung nach „Extremisten“ aussprach.
Währenddessen verspricht Innenministerin Faeser eine „entschiedene Antwort“ der Sicherheitsbehörden auf die Aktion der „Vulkangruppe“ und zeigt sich besorgt über das anhaltend hohe Gewaltpotential von Links. Die bürgerliche Öffentlichkeit ist natürlich unfähig zu fragen: Welche Gewalt? Gegen wen und was richtet sie sich? Welchen Zweck verfolgt sie? Denn dann müsste das Eingeständnis folgen, dass diese Gewalt eine Antwort ist auf die alltägliche Gewalt des Kapitals und ihres Staates gegen die Arbeiter*innen, die unterdrückten Völker und gegen die Umwelt. Dann wäre die Ideologie der Gewaltlosigkeit dahin, mit welcher der Schein eines möglichen Interessensausgleichs aufrechterhalten wird.
Faeser beim Wort nehmend fordert der Kapitalistenverband der „Deutschen Industrie- und Handelskammer“ (DIHK), die Bundesregierung möge ihre Bemühungen beschleunigen, ein Schutzgesetz für sogenannte „Kritische Infrastruktur“ zu verabschieden. Ein Entwurf für ein entsprechendes Gesetz ist seit Juli 2023 öffentlich einsehbar. Mit diesem Gesetz soll nach Auskunft der Bundesregierung die Widerstandsfähigkeit („Resilienz“) der Kritischen Infrastruktur gegen Gefahren aller Art durch einheitliche Standards und staatliche Unterstützung gestärkt werden. Damit wird eine EU-Richtlinie umgesetzt und es wäre sicherlich lohnenswert, die Bemühungen rund um den Begriff der Kritischen Infrastruktur näher zu analysieren. Aus den in der Zusammenfassung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung aufgelisteten Sektoren lässt sich bereits erahnen, dass es um alle Branchen geht, die essenziell für die Aufrechterhaltung des Kapitalismus sind, beispielsweise auch das Bankensystem. Der Kontext eines solchen Gesetzes ist sicherlich 1.) die steigende Kriegsgefahr durch die Spannung zwischen den imperialistischen Blöcken, 2.) die zunehmende Häufigkeit und Intensität von Naturkatastrophen durch die Klimakrise und, wie die DIHK uns in Erinnerung ruft, 3.) eben auch der Schutz vor aufständischen Aktivitäten, falls Menschen auf die Idee kommen, gegen die Gründe für 1.) und 2.) zu kämpfen.
Wie ernst der Staat diese präventive Aufstandsbekämpfung nimmt, beweist die Bundesanwaltschaft, welche die Ermittlungen wegen „verfassungsfeindlicher Sabotage“ (§88 StGB) und der Bildung einer „terroristischen Vereinigung“ (§129a StGB) gegen die „Vulkangruppe“ mittlerweile an sich gezogen hat. Eine Woche zuvor zog die höchste deutsche Anklagebehörde bereits das Verfahren gegen Antifaschist*innen an sich, welchen vorgeworfen wird, an militanten Aktionen gegen den „Tag der Ehre“ in Budapest teilgenommen zu haben. Hier lautet der konkrete Vorwurf „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ (§129 StGB). Der Generalbundesanwalt ist als „politischer Beamter“ an die Anweisungen der Regierung gebunden und wird vom Justizminister vorgeschlagen bzw. in den Ruhestand versetzt. Als solcher ist er Teil der ausführenden Gewalt, nicht der Justiz. Seit dem 04. März 2024 leitet das FDP-Mitglied Jens Rommel die Bundesanwaltschaft.
Schluss
Die RAF-Fahndung sollte ein Fanal sein. Ein Fanal dafür, dass Widerstand gegen den Staat zwecklos ist. Dass dieser Schuss nach hinten losgegangen ist und sich zugleich Militante daran machten, einen Nadelstich gegen die Umweltzerstörung des Kapitals in Gestalt von Tesla zu setzen, schreckte die bürgerliche Öffentlichkeit und die Behörden auf. Es sollte kein Missverständnis darüber entstehen, dass dieser Schrecken in keinem wirklichen Verhältnis zum tatsächlich recht gering ausgeprägten gesellschaftlichen Widerstand steht. Die Funktion der nun losgetretenen Repressions-Bemühungen besteht viel mehr darin, das ursprünglich erhoffte Zeichen doch noch setzen zu können, die revolutionären Kräfte in Zeiten der sich zuspitzenden Krisen doch noch weiter zu demotivieren. Mehrere Hundert Demonstrierende in Berlin zeigten am vergangenen Samstag (09.03), dass dies nicht gelingen wird. In diesem Sinne: Glück und Gesundheit allen untergetauchten Revolutionär*innen!