Am 25. Januar wurde eine 18-jährige Abiturientin von einem gleichaltrigen Mitschüler an einem Gymnasium in St. Leon-Rot, in Baden-Württemberg, mit einem Messer getötet. Die junge Frau hatte zuvor den Täter, mit welchem sie eine Beziehung geführt haben soll, bereits im November letzten Jahres wegen Körperverletzung angezeigt.
Dies war jedoch nicht der erste Fall in diesen ersten Wochen des neuen Jahres, bei dem eine Frau aufgrund ihres Frau-Seins ermordet wurde.
Schon am Neujahrstag wurde eine 15-Jährige von ihrem gleichaltrigen Freund, in einem Waldstück in Ulm, erwürgt. Insgesamt wurden in diesem Jahr, laut der Initiative „Femizide Stoppen“, bereits 11 Frauen von ihren Partnern oder Ex-Partnern ermordet.
„Femizid“ bezeichnet die Ermordung einer Frau aufgrund ihres Geschlechtes. Der Begriff soll sichtbar machen, dass es sich bei diesen Morden nicht um „tragische Einzelfälle“ handelt, sondern, dass das Töten von Frauen durch Männer System hat.
Erstmals wurde der Begriff in einem englischen Rechtslexikon von 1848 unter „femicide“ als „the killing of a woman“ beschrieben. Der Begriff blieb jedoch lange ungeachtet, bis er 1976 von der US-amerikanischen Soziologin und Feministin Diane E.H. Russell beim „International Tribunal on Crimes against Women“ erneut aufgegriffen wurde. Russell fasste unter dem Begriff des „Femizids“ zwei Aspekte zusammen: die Ermordung von Frauen aufgrund von Frauenhass, gepaart mit dem Dominanz- und Machtanspruch von Männern an Frauen. Der Begriff wurde ab den 1990er Jahren besonders in Südamerika weiter von feministischen Bewegungen aufgegriffen und wurden schließlich erste Forschungen zu Femiziden durchgeführt.
In Deutschland wurde der Begriff zu Beginn besonders von migrantischen Frauen aufgegriffen. Als schließlich die Weltgesundheitsorganisation und die Vereinte Nationen den Begriff ebefalls nutzten, setzte er sich auch in Deutschland immer weiter durch.
Die elf Tötungen an Frauen im Januar diesen Jahres haben eines gemeinsam. Alle Frauen wurden entweder durch ihren aktuellen Partner oder ihren Ex-Partner ermordet. Dies ist kein Zufall.
Femizide sind eine Form der äußersten patriarchalen Gewalt gegen Frauen. Sie sind Ausdruck des sich seit tausenden Jahren immer weiter entwickelnden Patriarchats, also der systematischen Herrschaft von Männern über die Gesellschaft und die Natur. Dieser Herrschaftsanspruch führt zu einem Besitzanspruch von Männern an Frauen, welcher sich in Eifersuchtsanfällen bis hin zu Morden äußert. Dies wird besonders deutlich daran, dass viele Femizide kurz nach oder während einer Trennung ausgeübt werden.
Einer der “gefährlichsten” Orte für die Frau ist und bleibt ihr eigenes Zuhause. Das vermeintlich Private, der Ort der Geborgenheit und Schutz geben soll, kann für Frauen tödlich werden. Partner, Ex-Partner, Vater, Onkel und Bruder, können potentiell zu den gefährlichsten Personen im Leben einer Frau werden. Auch fremde Männern stellen eine Gefahr dar, besonders für prostituierte Frauen. Das Bild jedoch, welches jungen Frauen von früh an vermittelt wird, sie sollten insbesondere vor fremden Männern Angst haben, ist mehr als verzerrt. Es blendet die potentiell gewaltvolle Realität des nahen Umfeldes komplett aus.
Femizide sind also ein strukturelles Problem. Da drängt sich natürlich die Frage auf: Was wird strukturell dagegen getan? Die kurze Antwort vorweg lautet: wenig. Sehr wenig.
In Deutschland wird nach Femiziden, wie nach rassistischen Anschlägen, immer wieder das Märchen des „Einzeltäters“ heruntergebetet. In den Medien wird mit den Schlagwörtern „Rosenkrieg“, „Familiendrama” und „Beziehungstat“ um sich geworfen. Wörter, die auf allen Ebenen die Realität leugnen und den Frauen eine Mitschuld an ihrer eigenen Ermordung zuschreiben.
Etwa alle drei Tage wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet. Mindestens jeden Tag versucht ein Mann eine Frau zu ermorden. Hinzu kommen, dass bei 60 bis 80 Prozent der ermordeten Frauen, die Täter zuvor bereits gewalttätig ihnen gegenüber waren. Genauso wie auch bei der jungen Frau in St. Leon-Rot.
Bei Femiziden wird meist nur die patriarchale Komponente herausgestellt, wenn es sich um einen sogenannten „Ehrenmord“ gehandelt hat. Also einem Mord an einer Frau, weil sie die Ehre der gesamten Familie verletzt haben soll. Der dahinter stehende Mechanismus, der Besitzanspruch auf Frauen und ihren Körper, bleibt derselbe, ob nun die Ehre einer ganzen Familie oder eines Partners verletzt wurde. Dennoch werden diese „Ehrenmorde“ häufig instrumentalisiert, um den rassistischen Diskurs in Deutschland weiter voran zu treiben.
Anders als in einigen Ländern Südamerikas, ist „Femizid“ in Deutschland kein Rechtsbegriff. Dennoch wurde am ersten Oktober letzten Jahres der Zusatz „geschlechtsspezifische Gewalt“ und „gegen die sexuelle Orientierung gerichtet“ zum Paragrafen 46 des Strafgesetzbuches hinzugefügt und verabschiedet.
Für die Realität der Frauen bringt dies jedoch herzlich wenig. Mit staatlichen Regularien lässt sich nur sehr begrenzt das Morden an Frauen durch Männer einschränken. Denn die Wurzeln des Problems liegen in der Struktur dieses Staates und dieser Gesellschaft. In welcher Frauen in Kleinfamilien vereinzelt werden und bei aller scheinbaren Emanzipation, die Dominanz des Mannes dennoch ein unhinterfragbarer Fakt ist, welchem sich die Frau unterzuordnen hat.
Die aktuelle Debatte um die Richtlinien „Zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ der EU-Komission, die unter anderem durch Deutschland blockiert wurde, zeigen welche frauenfeindlichen Einstellungen in unserer Gesellschaft noch existieren. Deutschland hat erfolgreich blockieren können, dass das Prinzip “Ja heißt Ja” durchgesetzt werden konnte. Damit müssen Frauen auch in Zukunft gerichtlich ihre Ablehnung bei Vergewaltigungen nachweisen.
Dass es jedoch bei dem Schutz von Frauen, meist um Lippenbekenntnisse geht und wenig um wirkliche präventiv Maßnahmen, ist an unzähligen Faktoren ersichtlich. Das mangelnde Interesse des deutschen Staates am Schutz von Frauen können wir nicht zuletzt daran erkennen, dass die Frauenhäuser in Deutschland chronisch unterfinanziert und personell unterbesetzt sind. Dies führt dazu, dass tagtäglich Frauen und Kinder an Frauenhäusern abgewiesen werden müssen und im Zweifel wieder gezwungen sind in gewalttätige umfelder zurückzukehren. Zur Verdeutlichung: Derzeit sind 6.800 Plätze in Frauenhäusern vorhanden, jedoch bräuchte es laut der Istanbuler-Konvention 21.100 Plätze. Bildlich heißt dies, für jede frau die einen Platz in einem Frauenhaus bekommt, müssen zwei Abgewiesen werden.
Die tödlichen Anschläge der letzten Jahre, welche sich insbesondere gegen migrantische und migrantisierte Menschen richteten, zeigen uns, dass rassistische und antisemitische Ideologien häufig Hand in Hand mit frauenfeindlichen Weltanschauungen gehen. Die Attentate von Halle, über Hanau bis hin zu Christchurch, Toronto oder Utøya, waren alle ebenfalls durch Hass auf Frauen motiviert. Einige der Mörder waren Teil der “involuntary celibate” („Incel“) Bewegung, was so viel heißt wie „unfreiwilliges Zölibat“. Eine Bewegung, welche ein natürliches Recht von Männern auf Sex mit Frauen erklärt und den modernen Feminismus dafür verantwortlich macht, dass dieser ihnen verwehrt wird. Eine Bewegung, welche sich vor allem über das Internet organisiert, jedoch bereits durch viele Morde an Frauen in der realen Welt ihren Worten haben Taten folgen lassen.
Der Blick in andere Länder zeigt, dass das Morden von Frauen keine Frage von Nationalgrenzen ist, sondern weltweit als Unterdrückung eingesetzt wird. Femizide werden ebenfalls seit Jahrtausenden als Kriegswaffe eingesetzt. So werden seit Jahren gezielt Vorreiter:innen der kurdischen Frauenbewegung durch den faschistischen türkischen Staat ermordet. Erst kürzlich am 18. Januar 2023 wurde die kurdische Revolutionärin Firyal Silêman Xalid in der südkurdischen Stadt Kerkûk (Irak) erschossen. Die kurdische Bewegung vermutet auch hinter diesem Mord den türkischen Geheimdienst MIT, welcher seit einem Jahrzehnt eine Serie von gezielten Frauenmorden durchführt.
Dennoch werden diese Morde niemals unbeantwortet gelassen.
Nach den unzähligen Frauenmorden in Argentinien formierte sich als Antwort am 3. Juni 2015 die erste „Ni Una Menos“ („Nicht eine weniger“) Demonstration mit hunderttausenden Demonstrat:innen in Buenos Aires. Mit der Zeit dehnte sie sich zu einer internationalen feministischen Bewegung aus. Als Reaktion auf den Mord an der jungen Italienierin Giulia Cechetti kamen zum letzten internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, eine halbe Millionen Menschen in Rom zusammen.
Um das Morden an Frauen zu beenden, reichen keine Gesetzesänderungen oder irgendwelche lila Präventions-Broschüren. Denn das Morden an Frauen aufgrund ihres Geschlechtes ist kein unabsichtliches Begleitsymptom. Es wird strategisch als Kriegswaffe eingesetzt und ist die logische Konsequenz eines Systems, welches seit Jahrtausenden auf der Ausbeutung und Unterdrückung der Frau aufbaut. Dies wurde in der Vergangenheit nicht zuletzt an dem vom 15. bis 18. Jahrhundert andauernden systematischen Femizid deutlich, der als „Hexenverfolgung“ bezeichnet wird. Es ist eine langanhaltende Kontinuität, welche in der Geschichte immer wieder andere Formen angenommen hat, im Kern jedoch auf die gleichen Ursachen zurück zuführen ist.
Letzten Monat sind dieser grausamen Kontinuität erneut elf Frauen zum Opfer gefallen. Um dem etwas entgegen zu setzten, braucht es eine entschlossene, geeinte und internationalistische Frauenbewegung.