„In Gedanken an alle Frauen, die Hass und Gewalt nicht überlebt haben.“ – Christina Clemm
Was sind Femizide?
Es ist der Frauenbewegung zu verdanken, dass der Begriff Femizid international verwendet wird. Femizide bezeichnen die Ermordung von Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts. Femizide sind keine Einzelfälle, sondern haben System. Die Kriminolog:innen Fredericke Leuschner und Elena Rausch erläutern: „Anders als bei Tötungen zum Nachteil von Männern gibt es bei Frauen einen nicht unerheblichen Anteil, bei denen das Geschlecht ausschlaggebend für die Tötung ist, sei es in der Position als Ehefrau oder Tochter oder bspw. bei Tötungen mit sexueller Motivation- schlicht aufgrund des Frauseins.“ Auch wenn Femizide meist in der engeren Gemeinschaft der ermordeten Frauen stattfinden, gibt es Fälle bei denen die Mörder den Frauen fremd sind. Etwa die Ermordung von Prostituierten oder Tötungen im Kontext von Menschenhandel.
Femizide sind die höchste Form patriarchaler Gewalt. Frauenmorde sind so alt wie das Patriarchat selbst. Die strengen Hierarchien und Abhängigkeitsverhältnisse innerhalb des kapitalistischen Systems fördern die Logik des Besitzanspruches von Männern über Frauen und ihre Körper. Arbeit kann unterteilt werden in entlohnte Arbeit, die finanzielle Absicherung schafft und dem Mann zugeordnet wird und nicht-entlohnte Arbeit, wie beispielsweise Kinderziehung und Haushaltstätigkeiten, welche Frauen zugeordnet werden. In diesem Verständnis werden weibliche Körper und ihre reproduktiven Kräfte abgewertet und als „natürliche“ Ressource erklärt. Für die gewaltvolle Durchsetzung des Kapitalismus war die Disziplinierung nicht fügsamer, weiblicher Arbeitskraft und Körper also zentral.
Woher kommt die Bezeichnung?
Zum ersten Mal verwendete die südafrikanische Soziologin Diane Ressel 1976 öffentlich den Begriff Femizid (femicide), bei einer Rede bei der sie Tötungen von Frauen durch Männer thematisierte. Später brachte die mexikanische Anthropologin Marcela Lagarde y de los Río den Begriff in den wissenschaftlichen Diskurs. Sie nutzte jedoch vor allem die Bezeichnung Feminizid, welcher die Verbrechen mit der Verantwortung des Staates verknüpft. Lagarde und viele andere Aktivist:innen prangerten die Frauenmorde als „Staatsverbrechen“ an. Femizide bilden nicht nur die Spitze der strukturellen Unterdrückung von Frauen- sie bleiben oftmals unbestraft. Die Auseinandersetzung mit Femiziden ist in Deutschland noch relativ neu. Erst 2020 wurde der Begriff Femizid in den Duden aufgenommen. Bisher gibt es dazu wenig Forschung. Anders als in vielen lateinamerikanischen Ländern sind Femizide in Deutschland kein eigener Straftatbestand.
Wir haben uns als Redaktion dennoch dazu entschieden, den Begriff Femizid zu benutzen, da er verbreiteter ist und häufiger genutzt wird. Es ist dennoch zentral die Mitverantwortung des Staates in Bezug auf Prävention, Untersuchung und Bestrafung mitzudenken.
Wer wird zum Täter?
Es gibt nicht den ‚typischen Täter‘ bei Femiziden. Getötet wird oftmals in Partnerschaften und während bzw. nach einer Trennung. Luise Greuel, Kriminologin und Rechtspsychologin beschreibt: „Männer töten ihre (Ex-)Partnerinnen dann, wenn diese eine hohe emotionale Bedeutung und entsprechende Relevanz für das Selbstwertgefühl des Mannes haben.“ Durch eine Trennung droht Männern, dass sie ihre Macht, Kontrolle, Besitz und Verfügungsgewalt über eine Frau verlieren. Nach dem Prinzip: „Wenn ich sie nicht haben kann, soll sie keiner haben.“
Jeden Tag wird eine Frau aufgrund ihres Gechlechts ermordet
Weltweit wird alle zehn Minuten eine Frau durch ihren (Ex)-Partner oder andere Familienmitglieder ermordet. Eine im November 2024 veröffentlichte Studie des BKA meldete mindestens 360 getötete Frauen und Mädchen im Vorjahr in Deutschland. Es ist davon auszugehen, dass es sich bei dem Großteil (über 80%) um Femizide handelt. Hinzu kommen 578 versuchte Tötungen. Anders gesagt: Fast jeden Tag stirbt eine Frau durch geschlechtsspezifische Gewalt. Da es sich bei den Zahlen des BKAs allerdings nur um die erfassten Taten handelt, muss mit einer großen Dunkelziffer gerechnet werden. Viele Opfer häuslicher Gewalt und sexueller Übergriffe bringen die Taten nicht zur Anzeige.
Femizide machen dabei mindestens ein Drittel der Tötungsdelikte in Deutschland aus. Letztes Jahr sind bereits über 100 Femizide gemeldet worden.
Wie werden Femizide in den Medien dargestellt?
In den Medien werden Femizide häufig als „Familiendrama“ oder „Beziehungstaten“ bezeichnet und somit relativiert. Es findet eine Täter-Opfer-Umkehr statt, oft wird mit den Tätern sympathisiert. Es werden Formulierungen wie „Töten aus Leidenschaft“ oder „Er liebte sie zu sehr“ verwendet, obwohl das dahinterstehende Motiv häufig die Angst vor dem Verlust von Macht und Kontrolle, ist. Die Tötungen von Frauen werden als schicksalhafte Einzelfälle dargestellt und die Gewalt wird normalisiert.
Die Familie als kleiner Staat im Staat
Die Entstehung der Familie wie wir sie heute insbesondere in industrialisierten Ländern kennen, bestehend aus einer Kleinfamilie die sich meist einen Haushalt teilt und einer erweiterten Familie, geht auf eine lange Geschichte zurück. Dieses Modell ist nicht einfach so erwachsen, sondern ist ein Ergebnis gesellschaftlicher und kriegerischer Prozesse. In der heutigen Gesellschaft ist ein anderes Lebensmodell meist gar nicht mehr vorstellbar und wird daher als naturgegeben aufgefasst.
Die Kleinfamilie bildet somit ein zentrales Element der strukturellen Festigung von einer „naturgegebenen“ männlichen Herrschaft. Sie schafft eine Trennung in öffentlich und privat. Dem Mann wird die Rolle des „Versorgers“ zugesprochen, er verkauft seine Arbeitskraft, wird dafür entlohnt und erwirtschaftet somit die Lebensgrundlage für die Familie. Er bekommt damit eine gesellschaftlich legitimierte Machtposition innerhalb der Familie zugesprochen. Die Frau ist verantwortlich für die Reproduktionsarbeit, für die sie nicht entlohnt wird. Die Familie bildet also eine wirtschaftliche Einheit, welche z.B. durch die Eheschließung auch staatlich geschützt und verankert wird.
Bei der Ursachenanalyse für Femizide ist es entscheidend, sie in dieses bestehende Machtverhältnis einzuordnen. Die Idealisierung der Kleinfamilie trägt maßgeblich dazu bei, dass angenommen wird, diese Räume wären harmonisch und gewaltfrei. So ist die Auffassung, dass wenn es Probleme gibt, dies Privatangelegenheit der Familie sei. Die strukturelle Gewalt gegen Frauen wird häufig immer wieder durch rassistische Narrative verschleiert und ausgelagert. Das patriarchale Gewaltverhältnis wird dabei auf das rassistisch definierte „Andere“ projiziert. Es geht um den anderen, den unbekannten Mann. Somit muss man sich nicht mit seinen eigenen gewaltvollen Verhalten auseinandersetzen. Dabei ist das verbindende Element der Femizide, ausschließlich das männliche Geschlecht der Täter.
Schützt der Staat Frauen vor Femiziden?
Häufig geht den Femiziden häusliche Gewalt voraus, viele Frauen versuchen den gewaltvollen Beziehungen zu entfliehen und suchen Schutz in Frauenhäusern. Diese sind in Deutschland jedoch chronisch unterfinanziert und es mangelt an Plätzen. Zudem müssen Frauen selbst Geld für ihren Aufenthalt in der Einrichtung bezahlen, welches vielen aufgrund ihrer finanziellen Abhängigkeit von ihrem (Ex)-Partner, fehlt. Gemessen an der Istanbul Konvention „zum Schutz von Frauen vor Gewalt“ fehlen in Deutschland mindestens 14.000 Frauenhausplätze. Aktuell sind momentan ca. 7700 Frauenhausplätze verfügbar, bundesweit werden allerdings mindestens 21 000 Frauenhausplätze benötigt. Das bedeutet dass nach der Istanbul-Konvention 2/3 der Plätze in Deutschland fehlen.
Femizide stellen in Deutschland keinen eigenen Straftatbestand dar. Die Urteilsverkündungen lauten Mord oder Totschlag. Das Justizsystem ist eine staatliche Institution, welche wie alle anderen öffentlichen und gesellschaftlichen Räume von struktureller Frauenfeindlichkeit geprägt, sowie sehr männlich dominiert, sind. Femizide werden also strafrechtlich nicht angemessen beurteilt, weil das zentrale Motiv des Besitzanspruches von Männern gegenüber Frauen, keine Rolle spielt.
Gewalt gegen Frauen als Kriegswaffe
Die Tötung von Frauen wird im Kontext von bewaffneten Konflikten, auch als Kriegshandlung genutzt. Dabei sind Kriege an sich schon eine Form der extremen Zuspitzung patriarchaler Machtkämpfe. Kriege dienen der Sicherung von Macht und Eigentumsverhältnissen, die zumeist in männlicher Hand sind und männliche Interessen verfolgen. Soldaten sind meist Männer, genau wie ihre Kommandanten und die kriegstreibenden Politiker oder Machthaber.
Das Ziel der patriarchalen Gewalt in Kriegssituationen ist, Frauen und Mädchen, die der feindlichen Kriegspartei zuzuordnen sind, zu schädigen und zu entmenschlichen, um so die gesamte feindliche Kriegspartei zu schwächen. Frauen übernehmen auch in Kriegssituationen meist den Großteil der reproduktiven Arbeiten, so stellen sie beispielsweise die Versorgung der Soldaten sicher.
Auch werden Frauen in Kriegen immer wieder besonders zur Zielscheibe der Kampfhandlungen: Wie beispielsweise im Krieg gegen die Palästinenser:innen, wo überwiegend Frauen und Kinder ermordet werden. Auch wichtige Infrastruktur, wie Krankenhäuser und Geburtskliniken, die überlebenswichtig für gebärende Frauen sind, werden gezielt zerstört. Viele Frauen in Gaza sind aufgrund fehlender medizinischer Versorgung an den Folgen der Geburt gestorben.
Besonders sexualisierte Gewalt wird immer wieder systematisch in Kriegen eingesetzt. Im bewaffneten Konflikt im Kongo, in dem seit fast dreißig Jahren verschiedene bewaffnete Milizen und Armeen mehrerer Staaten um die Vorherrschaft des Landes kämpfen, werden Frauen und Mädchen dauerhaft extremer Gewalt ausgesetzt. Soldaten und Paramilitärs vergewaltigen, foltern und misshandeln ganze Dörfer und verschleppen und Töten die in ihnen lebenden Frauen.
Auch im Krieg im Sudan, in welchem seit Mitte April 2023 zwei Generäle mit ihren bewaffneten Streitkräften um die Vorherrschaft des Landes kämpfen, wird sexualisierte Gewalt als Kriegsaffe eingesetzt. Sowohl die Kämpfer der Rapid Support Forces als auch die Soldaten der sudanesischen Armee üben Gruppenvergewaltigungen und Folter gegen die sudanesischen Frauen aus. Hinzukommt, dass die Opfer aufgrund des Krieges im Nachhienein nur selten die Möglichkeit haben, medizinisch versorgt zu werden. Um sich der unvorstellbaren Gewalt in Kriegen zu entziehen, nehmen sich Frauen immer wieder das Leben: wie beispielsweise in der sudanesischen Provinz Gezira, wo letztes Jahr 130 Frauen kollektiv Suizid begangen, um der bevorstehenden Gewalt durch die Milizen der RSF zu entkommen.
Widerstand
Am 25. November 1960 wurden drei der vier Mirabal Schwestern in der Dominikanischen Republik ermordet. Sie leisteten Widerstand gegen die Diktatur und mussten dafür mit ihrem Leben bezahlen. Sie wurden mehrmals verhaftet, monatelang gefoltert und letztendlich brutal ermordet. An diesem Tag versammeln sich seither jährlich international Millionen von Menschen um gegen die Gewalt an Frauen zu protestieren.
Die Bewegung gegen Femizide nahm ihren Ursprung in Abya Yala (Indigenes Amerika). Im Jahr 1993 gingen erstmals Frauen der mexikanischen Stadt Ciudad Juárez auf die Straße, um gegen die Ermordung von 287 Frauen und dem Verschwinden von 500 Frauen, zu protestieren. Die Protestierenden brachten durch Parolen wie „las muteras“ („die toten Frauen“) oder „ni una más“ („nicht eine mehr“), ihre Wut zum Ausdruck. Als 2001 die Leichen von acht weiteren Frauen gefunden wurden, weiteten sich Demonstrationen über ganz Mexiko aus. Auch in Argentinien gab es Proteste.
Im August 2024 wurde eine junge Ärztin in Kolkata (Indien) auf ihrer Arbeit vergewaltigt und anschließend gewaltvoll ermordet. Im ganzen Land kam es zu Protesten, Aufständen und Streiks. Überall auf der Welt leisten Menschen Widerstand gegen patriarchale Gewalt und gehen auf die Straße gegen mangelnde Prävention, unzureichende strafrechtliche Verfolgung des Staates und die unterdrückenden patriarchalen Machtverhältnisse, welche die Gewalt erst ermöglichen.