Jenseits der Brandmauer: Realitätscheck Wahlprogramm

Am 29. Januar stellte die CDU einen Antrag, der die faktische Grenzschließung gegenüber allen Geflüchteten bedeuten würde. Die CDU forderte Geflüchtete an den Grenzen zurückzuweisen, noch bevor sie einen Antrag auf Asyl stellen können, dauerhafte Grenzkontrollen, sowie die Inhaftierung aller ausreisepflichtigen Geflüchteten.

Jenseits der Brandmauer: Realitätscheck Wahlprogramm

Inhaltsverzeichnis

Am 29. Januar stellte die CDU einen Antrag, der die faktische Grenzschließung gegenüber allen Geflüchteten bedeuten würde. Die CDU forderte Geflüchtete an den Grenzen zurückzuweisen, noch bevor sie einen Antrag auf Asyl stellen können, dauerhafte Grenzkontrollen, sowie die Inhaftierung aller ausreisepflichtigen Geflüchteten. Neben der CDU stimmten Abgeordnete der AfD und der FDP dafür. Während sich das BSW bei der Antragsstellung erst noch enthielt, stimmten die Abgeordneten später im Bundestag ebenfalls für den Gesetzesentwurf. Grüne, Linke und SPD stimmten dagegen. Es regte sich Empörung im Bundestag, die SPD verurteilte die Zusammenarbeit: die Union sei „aus der politischen Mitte dieses Hauses ausgebrochen“. Statt die Inhalte des Gesetzesvorschlags zu kritisieren, drehte sich die Kritik fast ausschließlich um die Zusammenarbeit mit der AfD. Die Parteichefin der SPD, Saskia Esken kritisierte die Zusammenarbeit: „die Brandmauer von Friedrich Merz, sie ist aus Papier gebaut und sie brennt lichterloh“.

Zwei Tage später lehnte der Bundestag mit einer knappen Mehrheit den Entwurf für das „Zustrombegrenzungsgesetz“, ab.

Demonstration am 8. Februar in München

Dabei waren es die Ampelparteien, die im Mai 2024 im EU-Parlament, für die Durchsetzung des „Gemeinsamen Europäischen Asylsystems“ (GEAS), stimmten. Dieses Gesetz trat 2024 in Kraft. Die Umsetzung und Novellierung in den EU-Mitgliedsstaaten soll bis zum Sommer 2026 erfolgen. PRO ASYL bezeichnet es als den „historischen Tiefpunkt für den Flüchtlingsschutz in Europa“.

Sowohl im Bundestag als auch auf den Straßen regte sich breiter Widerstand. In Hannover versammelten sich beispielsweise ca. 25.000 Menschen, in Berlin 160.000 und in München sogar 300.000 Menschen. Der Widerstand und die Empörung im Bundestag wurde jedoch maßgeblich mit dem „Tabubruch“ von CDU und FDP begründet, anstatt einen tatsächlichen Bezug zur Migrationspolitik und Forderungen des Gesetzes herzustellen.

Realitätscheck „Brandmauer“ – Was fordern die Wahlprogramme für eine Migrationspolitik?

CDU, FDP, BSW und AfD fordern die Abschiebung von Geflüchteten in sogenannte „sichere Drittstaaten“. Als sichere Drittstaaten gelten alle Länder, in denen die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention und der europäischen Menschenrechtskonvention gewährleistet sind. Dazu zählen nach Asylgesetz alle Mitgliedsstaaten der EU und viele weitere. Die Liste der im Migrationsabkommen als sicher eingestuften Staaten wächst stetig. Somit ist es nicht möglich, nach Deutschland einzureisen ohne vorher einen „sicheren Drittstaat“ zu durchqueren. Dies bedeutet auch, dass Asylbedürftige, die nach Deutschland über einen „sicheren Drittstaat“ eingereist sind, sich nicht mehr auf das im Grundgesetz verankerte Asylrecht berufen können. Somit bleibt als gesetzlich zulässiger Fluchtgrund aus vielen Ländern lediglich das Fachkräfte- und Pflegeabkommen.

Desweiteren fordern AfD, CDU, BSW und FDP eine sofortige Abschiebung im Falle von Straffälligkeit. Auch in den Wahlprogrammen von SPD und Grünen tauchen diese Forderungen auf, sind aber schwammiger formuliert. Beispielsweise schreibt die SPD dazu wie folgt: „Klar ist: Wer sich nicht an die Regeln hält, muss wieder gehen.“ Davon wären viele Migrant:innen betroffen, da die prekären Lebensbedingungen – denen sie hier in Deutschland aufgrund von unzureichenden Sozialleistungen ausgesetzt sind – sie oft dazu drängen straftätig zu werden. Die Parteien AfD, BSW, FDP und CDU sind allerdings der Auffassung, dass Deutschland vielmehr einem „Asylparadies“ gleiche und fordern die Herabsetzung von staatlichen Sozialleistung an Geflüchtete unter das Existenzminimum. Die CDU fordert in ihrem Wahlprogramm für alle Ausreisepflichtige nicht mehr als ‚Bett, Brot und Seife‘.

Stark verfolgt: Seenotrettung im Mittelmeer

Auch Schließung und Verstärkung der Überwachung von Außengrenzen sind für AfD, CDU, BSW, FDP, SPD und die Grünen ein zentrales Thema. Während sich die Pläne und Forderungen von AfD, CDU und FDP hauptsächlich auf die nationalen Grenzen beziehen, sehen die restlichen mindestens eine Verstärkung der EU-Außengrenzen als notwendig. Alle sind sich einig, dass Frontex, die Agentur für Grenz- und Küstenüberwachung an der EU-Außengrenze, weiterentwickelt werden muss. Die 2005 gegründete Agentur Frontex macht immer wieder Schlagzeilen wegen illegalen Pushbacks z.B. im Mittelmeer. Geflüchtete, die häufig mit maroden und überfüllten Booten versuchen, das Mittelmeer zu überqueren, werden dabei von Frontex, die mit modernen Schiffen ausgestattet sind, bspw. aus dem griechischem Küstenmeer in das türkische abgedrängt. Juristisch ist es sehr schwer dagegen vorzugehen, da Frontex nur von den EU-Mitgliedsstaaten selbst beauftragt wird. Auch die in der GEAS-Reform enthaltene Asylrgentur der Europäischen Union (EUAA), welche zukünftig Abschiebungen koordinieren soll, soll ausgebaut werden.

Diesen Trend von gesteigerten Investitionen in Überwachungs- und Sicherheitsbehörden fordern die parlamentarischen Parteien auch auf nationaler Ebene.

Realitätscheck „Polizeistaat“ – Was fordern die Wahlprogramme für die ‚innere Sicherheit‘?

Mehr Personal und bessere Ausstattung! So fordern es alle parlamentarischen Parteien außer Die Linke. Explizit bedeutet dies, Erhöhung der Personalstärke auf allen Ebenen der Polizei- und Justizbehörden.
Um für die personelle Aufstockung noch mehr Menschen zu gewinnen, fordern die Parteien eine Steigerung der Attraktivität der Berufe, zum Beispiel durch noch mehr Privilegien für den Beamt:innenstatus. Der Personalzuwachs soll anschließend unter anderem dafür eingesetzt werden, die Polizeipräsenz auf Straßen, Plätzen und Versammlungen zu erhöhen.

Außerdem fordern AfD, CDU, BSW, SPD und die Grünen moderne Ausrüstung und „zeitgemäße“ Befugnisse von Polizei, bspw. die Zulassung von KI-basierter Datenanalyse und Vorratsdatenspeicherung zur Verfolgung von Straftaten. CDU und AfD fordern darüber hinaus, dass das Jugendstrafrecht nur noch im Ausnahmefall Anwendung findet und eine Prüfung durch eine wissenschaftliche Untersuchung, ob Kinder unter 14 Jahren auch schon strafmündig sein sollten. Die AfD will sogar die Herabsetzung der Strafmündigkeit auf 12 Jahre.

Realitätscheck „Militarismus“ – Was fordern die Wahlprogramme an Aufrüstung in der Zeitenwende?

Alle parlamentarischen Parteien, bis auf Die Linke und das BSW setzen auf eine konsequente Politik der Aufrüstung. Die Forderungen zur Steigerung der jährlichen Rüstungsausgaben staffeln sich dabei wie folgt: AfD 5%, FDP und Grüne fordern mehr als 2%. Habeck, der Kanzlerkandidat der Grünen, sprach auch schon davon 3,5% in die Rüstung zu investieren. SPD und CDU setzten sich für weiterhin mindestens 2% der deutschen Wirtschaftsleistung ein. 2024 betrug das Bruttoinlandsprodukt von Deutschland ca. 4,31 Billionen €, 2% davon wären 86,2 Milliarden €. Dieses Geld soll maßgeblich zur Aufrüstung der Bundeswehr eingesetzt werden, mit dem Ziel in der NATO mehr ‚Verantwortung‘ übernehmen zu können und Deutschland zu einer militärischen Drehscheibe innerhalb von Europa auszubauen.

Während alle Parteien unter dem Gesichtspunkt der europäischen Sicherheit für Frieden argumentieren, schließen AfD, CDU, FDP, SPD und die Grünen daraus, dass dies nur mit Aufrüstung und Vorbereitung auf den Verteidigungsfall zu gewährleisten ist. Dabei wollen CDU, FDP, SPD und die Grünen, wie schon bei der Migrationspolitik eine Lösung in Zusammenarbeit mit der EU, unter Leitung der NATO, wobei sie eine direkte Beteiligung der eigenen Streitkräfte im Krieg in der Ukraine ausschließen wollen. Sie sprechen sich deshalb für weitere Waffenlieferungen in die Ukraine aus. Auch nach Israel wollen CDU, FDP, SPD und die Grünen weiter Waffen liefern und das trotz der zwischen der israelischen Regierung und der Hamas vereinbarten Waffenruhe. Linke und BSW sprechen sich gegen Waffenlieferungen aus und plädieren für einen diplomatischen Umgang. Die AfD positioniert sich ebenfalls gegen Waffenlieferungen, jedoch mit der Forderung diese Waffen für die deutsche Aufrüstung zu verwenden.

2024 in der Rheinmetall-Fabrik. Ob sich Herr Scholz daran noch erinnern kann?

Auch in puncto Wehrpflicht sind eindeutige Tendenzen zu erkennen. Während BSW und Die Linke eine allgemeine Wehrpflicht nach wie vor ablehnen, wollen die Grünen, FDP und SPD mindestens eine ‚Erfassung aller wehrfähigen Männer und Frauen‘, sowie eine verpflichtende Musterung aller Männer. CDU und AfD hingegen sprechen sich offen für die Wiedereinführung einer Wehrpflicht aus.

Keine Alternative?

Ob Migrations-, Sicherheits- oder Außenpolitik, ein Blick in die Wahlprogramme macht deutlich: gegen einen gesamtgesellschaftlichen Rechtsruck hilft auch eine scheinbar moralische Brandmauer nichts. Fast alle Parteien setzen auf eine restriktive Asylpolitik und weitestgehende EU-Grenzschließung, sowie Aufrüstung der Bundeswehr und mehr Befugnisse für Sicherheitsbehörden. Wie sich auch jüngst zeigte, darf einem Wahlversprechen keinesfalls zu viel Bedeutung beigemessen werden. Das Wahlprogramm dient schleißlich hauptsächlich dazu, Wähler:innenstimmen zu bekommen. Beispielsweise war vor ihrem Regierungsantritt 2022, eine der Hauptforderungen der Ampelregierung die Abschaffung des §218 StGB, welche die Legalisierung von Schwangerschaftsabrüchen bis zur 12. Woche, bedeuten würde. Während ihrer Legislaturperiode wurde diese Gesetzesänderung schlichtweg nicht umgesetzt. Erst letzte Woche, kurz vor den Neuwahlen wurde der Antrag zur Aussetzung des Artikels im Bundestag besprochen. Noch bevor dieser scheiterte, nahmen die Regierungsparteien die Forderung der Abschaffung des §218 wieder in ihre Wahlprogramme auf.

Rechtsruck bezieht sich nicht nur auf das Erstarken offen rechter Parteien. Die sich als „bürgerliche Mitte“ von der AfD abgrenzenden Parteien liefern durch ihre Politik den ökonomischen Nährboden für das Erstarken der AfD, während der Kurs ihrer Politik selbst immer weiter nach rechts geht. Die Forderung der parlamentarischen Parteien, die AfD zu isolieren, aber ihre menschenfeindliche Politik selbst zu übernehmen, hat nichts mit einer Brandmauer zu tun.

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