Erst im vergangenen Juli wurden die ersten größeren Medienhäuser auch außerhalb der Waffenszene auf Donaustahl aufmerksam. Der Auslöser: ein kurzer, aber weitreichender Tweet des Unternehmens: “Das Bundeswirtschaftsministerium hat der Donaustahl GmbH […] die Genehmigung zur Herstellung und Ausfuhr der Adaptive Loitering Munition Platform (ALMP) ‘MAUS’ erteilt”
Es ist das erste Mal, dass ein deutsches Unternehmen die Erlaubnis erteilt bekommt, Kamikaze-Drohnen, die beim Einsatz in ihr Ziel fliegen und sich selbst in die Luft jagen, in die Ukraine zu liefern.
Drohnen sind eins der zentralen Kampfmittel im Krieg in der Ukraine und Russland geworden. Die beiden Länder liefern sich seit Beginn des Krieges einen steten Wettlauf um immer neuere Technologien und Gegentechnologien. Der Grund dafür liegt dabei auf der Hand: die Möglichkeit, gegnerische Einheiten aus einer Entfernung von mehreren Kilometern ohne Gefahr für die eigenen Soldaten zielgerichtet anzugreifen und zu zerstören, bietet für beide Seiten der Front einen massiven Vorteil.
Die Neuentwicklungen, die in diesem Bereich das Licht der Welt erblickt haben, veränderten in den letzten Jahren die Realität auf dem Schlachtfeld nach Einschätzung so gut wie aller Militärexpert:innen grundlegend.
Die Drohnen haben in Kreisen der Kriegsbegeisterten Kultstatus erlangt. Videos von Einsätzen der Drohnen sind mittlerweile fester Bestandteil der Kriegsberichterstattung. Kaum eine Person hat noch kein Video gesehen, in der eine Drohne entweder eine Granate auf eine Gruppe Soldaten oder einen Panzer wirft, oder im Kamikaze-Modus in selbige reinfliegt und explodiert. Die Drohne ist vom Schlachtfeld des 21. Jahrhunderts nicht mehr wegzudenken.
Dass über kurz oder lang auch die deutsche Rüstungsbranche von diesem aufstrebenden Teil der Kriegsführung profitieren will, war nur eine Frage der Zeit. Donaustahl Gründer und Chef Stefan Thumann, der sich auf Twitter als „Nationalprogressiver bayerischer Stammtisch-General“ bezeichnet, ist jedenfalls mächtig stolz auf den Auftrag. Dazu trägt auch der Empfänger der ersten Drohnenlieferung bei. Die Eliteeinheit „Kraken“, die direkt dem ukrainischen Geheimdienst untersteht, gilt als die effizienteste Drohneneinheit der ukrainischen Armee.
Automatisierte Zielerkennung
Während in den Artikeln zur Ausfuhrgenehmigung ausführlich über Thumann und sein Unternehmen berichtet wurde, kommt ein Aspekt des Unternehmens auffälligerweise nicht zur Sprache.
Donaustahl arbeitet aktiv am Einsatz von Künstlicher Intelligenz in ihren Drohnen. Videos auf dem Twitteraccount und interne Dokumente, aus denen Donaustahl stolz auf Twitter berichtet, zeigen Details der Software mit dem Namen „Vulture“, zu Deutsch „Geier“. „Autonome Steuerung – Automatische Zielerkennung – Menschliche Entscheidung – autonomer Zielanflug“, heißt es dort. Die Videos zeigen, wie dies aussehen könnte, ihre Echtheit und wo sie aufgenommen wurden, können wir nicht verifizieren.
Sie zeigen die Sicht einer Drohne, wie diese mit Thermalkamera offensichtlich auf einem Schlachtfeld unterwegs ist. Eine Gruppe von Personen kommt ins Sichtfeld der Drohne, die Software erkennt, dass es sich dabei um Menschen handelt, jede Person wird mit einem roten Rechteck mit der Aufschrift „person“ markiert, die Drohne nimmt die Gruppe ins Visier und steuert auf sie zu. Im letzten Moment sieht man noch, wie die Arme einer der Personen nach oben gehen, als wolle sie die Drohne abwehren. Das Video bricht ab, die nächste Szene desselben Schemas startet, nur dieses Mal mit einem Panzer im Visier.
Tests in der Ukraine auch schon vor Ausfuhrgenehmigung?
Ob es sich bei den Videos um Tests handelt oder um tatsächliche Einsätze der „Maus“ und der Software „Vulture“, lässt sich allein durch diese Videos nicht feststellen. Doch sie sollen ohne Frage so wirken, als sei Donaustahl dabei, die Ukraine mit Drohnen auszustatten, die in der Lage sind, Ziele selbst zu erfassen und diese auf menschliche Zuruf auszuschalten.
Laut Thumann waren die „Maus“-Drohnen schon vor Monaten in der Ukraine in einer ausführlichen „Testphase“, bevor die Ausfuhrgenehmigung durch das Bundeswirtschaftsministerium erteilt wurde. Ob dabei auch „Vulture“ zum Einsatz kam, ist unklar.
Ohne Frage öffnet das deutsche Unternehmen mit der Software aber ein Feld, das seit Jahren von vielen Seiten mit unruhigem Blick verfolgt wird: Autonome Waffensysteme, die selbst über Leben und Tod entscheiden können.
Während Thumann betont, dass die menschliche Komponente zentral sei in der Entscheidung ein Ziel zu zerstören, stellt sich die Frage unweigerlich, ob in der Kette „Autonome Steuerung – Automatische Zielerkennung – Menschliche Entscheidung – autonomer Zielanflug“ die menschliche Entscheidung in Zukunft nicht auch durch eine KI ersetzt werden könnte.
Ähnliche Fragen waren schon bei der Aufdeckung des sogenannten Lavender-Programms der israelischen Armee aufgekommen, das potenzielle Ziele mithilfe von KI aufdecken sollte und Zielempfehlungen erstellen sollte.
Schon damals sprach die NGO “Stop Killer Robots” davon, dass solche Programme “Menschen zu Datenpunkten komprimieren und schwere Bedenken im Zusammenhang mit dem internationalen humanitären Recht, Verstößen gegen die Menschenwürde und digitaler Entmenschlichung aufwerfen”.
Schon jetzt ist die Distanz zwischen Drohnenoperator und Drohnenziel ein Faktor, der das Töten im Krieg zu einem indirekteren und unpersönlichen Akt macht. Die Videos, die sich in einschlägigen Telegramgruppen oder auch auf Twitter finden, von Drohneneinsätzen gegen feindliche Soldaten, die zeigen, wie diese durch die Explosionen Gliedmaßen verlieren, regungslos liegenbleiben oder in einer Wolke Staub nach der Explosion verschwinden, unterlegt mit Technomusik, zeigen schon jetzt, wie weit die Entmenschlichung auf dem Schlachtfeld vorangeschritten ist. Wenn in Zukunft nicht einmal mehr ein Mensch über diesen Tod entschiedet, sondern die Drohne selbst, ist das Zeitalter des anonymen Tötens endgültig angebrochen.